Fachtagung
„Kein Staat kämpft für die Freiheit der Völker“
Martin Buber in Berlin
27.–30. März 2023, Katholische Akademie in Berlin
„Kein Staat kämpft für die Freiheit der Völker“ – Martin Buber in Berlin
27.–30. März 2023
Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5, 10115 Berlin
Zwischen 1907 und 1916 lebte Martin Buber mit seiner Familie in Berlin Zehlendorf. In seine Berliner Zeit fiel der Beginn des Ersten Weltkrieges und seine Auseinandersetzung mit dem Thema.
War er zunächst anfällig gewesen für die allgemeine Begeisterung, so kamen ihm – auch dank seiner Gespräche mit dem Freund Gustav Landauer – doch bald Zweifel. Schon unter dem Eindruck der Verwüstung Lembergs, der Stadt seiner Kindheit, schreibt er im Oktober 1916: “Kein Staat kämpft für die Freiheit der Völker, das liegt nicht im Wesen des Staates… Ja, ich glaube an einen künftigen Kampf gegen die Gewaltherrschaft, aber der wird anders ausgekämpft werden als in einem Krieg …von Staaten gegen Staaten: in der Seele und im Leben der Völker.”
Das Berliner Zentrum für Intellektuelle Diaspora diskutiert in einer internationalen Runde von Expertinnen und Experten Fragen von Nationalismus, Religion und Politik im Denken Martin Bubers in und nach seiner Berliner Zeit.
Organisation
Dr. Gesine Palmer
Katholische Akademie Berlin
Termine
Hebräischer Humanismus und Zionismus: Martin Buber und die jüdisch-arabische Frage
Montag, 27. März 2023, 19:00 Uhr
Öffentlicher Abend zur Tagung Martin Buber in Berlin
Ein Vortrag von Michael Zank (Boston University)
Für den heute vorwiegend als Bibelübersetzer und Religionsphilosoph bekannten Martin Buber (1878–1965) stand die nationale Wiedergeburt des jüdischen Volkes unter dem Zeichen einer Erneuerung des biblisch-hebräischen Humanismus. In seinem Vortrag zur „jüdisch-arabischen Frage“ wird Professor Zank nachzeichnen, wie Buber versuchte, die Politik der zionistischen Bewegung und – nach der Staatsgründung – die öffentliche Meinung in Israel zugunsten einer jüdisch-arabischen Zusammenarbeit zu beeinflussen. Der Vortrag mündet in der Frage, ob sich – angesichts der heutigen Lage in Israel/Palästina – von Buber her ein Weg zu einem zukunftsträchtigen jüdisch-arabischen Dialog denken lässt.
Livestream on YouTube: Martin Buber und die jüdisch-arabische Frage
Michael Zank (Jg. 1958) studierte Theologie und Judaistik in Göttingen, Kiel, Heidelberg und Jerusalem bevor er in die USA ging, wo er seit 1988 lebt. Nach weiteren Studien in Near Eastern and Judaic Studies an der Brandeis University (Waltham/Mass.) nahm er seine derzeitige Lehrtätigkeit an der Boston University auf, wo er außerdem von 2013 bis 2022 das Elie Wiesel Center for Jewish Studies leitete. Als Martin-Buber-Professor für jüdische Religionsphilosophie an der JW Goethe Universität Frankfurt war Zank verantwortlich für Veranstaltungen zur Feier des 125sten Geburtstags des Martin Bubers.
Zu seinen Veröffentlichungen zählen Studien zu Martin Buber, Hermann Cohen, Franz Rosenzweig und Leo Strauss, sowie eine kurzgefasste Geschichte der Heiligen Stadt (Jerusalem. A Brief History). Eine Sammlung seiner Aufsätze erschien 2016 unter dem Titel „Jüdische Religionsphilosophie als Apologie des Mosaismus.“
Martin Buber and Franz Rosenzweig on Mitzvot
Dienstag, 28. März 2023, 19:00 Uhr
Öffentlicher Abend zur Martin-Buber-Tagung in englischer Sprache
Intrareligious Plurality: Rosenzweig and Buber on the Divine Commandments
Rosenzweig gradually rediscovered Judaism after a frightening existential crisis. In the process of his return to Judaism, the traditional mitsvot became for him essential. His older friend Buber, on the contrary, deemed that no special formal acts to relate to God were required since every aspect of life had to be hallowed. He had reimagined Hasidism as a way of life that could be lived by the Jews in the land of Yisrael.
Jewish prayer is brim with love for the divine commandments. However, there are different interpretations of what exactly is commanded. In an intrareligious pluralism, different interpretations of commandments exist together. A historical discussion of the dispute between Buber and Rosenzweig allows us to consider two complementary paths. I argue that with all their differences, the two friends were perhaps less far from each other than is usually thought. In a first step, I pay attention to their undeniable differences on the question of the mitsvot. In a second step, I show that their different paths are not incompatible, certainly in view of Rosenzweig’s concept of the New Law with its eminent social dimension.
Prof. Ephraim Meir is Professor emeritus of modern Jewish Philosophy at Bar-Ilan University, Ramat Gan, Israel. From 2009 until 2017, he was the Levinas guest Professor for Jewish Dialogue Studies and Interreligious Theology at the Academy of World Religions, University of Hamburg. From August until December 2018 he was research fellow at the Center of Theological Inquiry in Princeton. For a few months in 2021 and 2022 he was a fellow at the Stellenbosch Institute for Advanced Study, South Africa. He is President of the International Rosenzweig Society.
Among his more recent works are: Identity Dialogically Constructed (2011), Differenz und Dialog (2011), Between Heschel and Buber (2012; with A. Even-Chen), Dialogical Thought and Identity (2013), Interreligious Theology. Its Value and Mooring in modern Jewish Philosophy (2015), Becoming Interreligious (2017), Old-New Jewish Humanism (2018), Faith in the Plural (2019) and The Marvel of Relatedness (2021).
Female Perspectives on Martin Buber
Mittwoch, 29. März 2023, 19:00 Uhr
Öffentlicher Abend zur Tagung Martin Buber in Berlin
Podium mit Prof. Dr. Barbara Hahn, Vaderbilt University, und Prof. Dr. Yemima Hadad, Universität Leipzig
In Bubers früher Zuhörerschaft wie in seinen längsten Freundschaften spielten gebildete Frauen eine große Rolle. “Das ist kein Mensch, das ist reiner Geist.” Diesen Ersteindruck formulierte Margarete Susman im Rückblick auf ihre erste Begegnung mit Martin Buber im Berliner Simmel-Kreis. Im Leben ist der Geist freilich menschlich, und also auch Leib gewesen, dieser männlich. Spielt das eine Rolle, und wenn ja, welche?
Diese Frage stellt für Margarete Susman die Literaturwissenschaftlerin und Susman-Expertin Barbara Hahn.
Yemima Hadad, Buber-Expertin, stellt sie in den allgemeineren Kontext der weiblichen Buber-Rezeption.
Barbara Hahn war von 1996-2004 Professorin an der Princeton University, bis 2020 lehrte sie an der Vanderbilt University.
Sie ist unter anderem Herausgeberin der kritischen Edition der Werke von Rahel Levin Varnhagen und eine der Hauptherausgeberinnen der deutsch-englischen kritischen Gesamtausgabe der Werke von Hannah Arendt.
2008/09 wurde ihr ein Fellowship der John Simon Guggenheim Memorial Foundation verliehen; 2010 erhielt sie den Margherita-von-Brentano-Preis der Freien Universität Berlin und 2014/15 war sie Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Yemima Hadad holds the Juniorprofessur für Judaistik in the Theological Faculty at the University of Leipzig. Her research interests focus on Modern Jewish Thought, German-Jewish Philosophy, Continental Philosophy, Political Theology and Jewish Feminism. She recived her PhD from the School of Jewish Theology at the University of Potsdam (2021) and she is a research fellow at the Bucerius Institute for Research of German Contemporary History and Society at the University of Haifa. She held several fellowships including the Studienstiftung des deutschen Volkes scholarship (2019/2020) and the Leo Baeck Institute fellowship (2018/2019) and the Rosenzweig Minerva Research Center fellowship at the Hebrew University in Jerusalem (2017/2018).
Her research has appeared or is forthcoming in journals such as the Hebrew Union College Annual, The Jewish Quarterly Review, Jewish Studies Quarterly, Religions, Naharaim, Azimuth.
She is currently working on a monograph on Jewish feminist perspectives on maternal theology and ethics of care.
She is currently Co-organizing a conference on Women Write Buber at the at the Bucerius Institut in Haifa (July 2023).
For more info see: https://www.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/women-write-buber-2022-07-20
Programm
Montag, 27.3.2023, 19:00 Uhr, Auditorium
Begrüßung Akademie
Grußwort Kulturstaatssekretär Dr. Torsten Wöhlert
Keynote: Hebräischer Humanismus und Zionismus: Martin Buber und die jüdisch-arabische Frage, Michael Zank
Dienstag, 28.3.2023
Ab 9.30 Uhr Registrierung
10.15 Einführung BZID, Gesine Palmer
10.30 Von Lemberg nach Berlin, Dominique Bourel
11.30 Buber-Korrespondenzen Digital, Susan Baumert
Religion und Politik bei Martin Buber
12.15 Martin Buber and his Early Secularized Conception of Religion, Zohar Maor
13.00 Mittagspause
14.30 The Courage to be an Outsider, Paul Mendes-Flohr / Enfällt wegen Krankheit:
Hermann Cohen und Martin Buber über Zionismus, Messianismus und Menschheit, Christian Wiese
15.30 Kaffeepause
15.45 Frieden für den Nahen Osten. Martin Bubers Impuls, Micha Brumlik
16.45 „Echte Philosophie ist eines Liebenden Philosophie“: Die Einstellung Martin Bubers zum Pazifismus, Hans-Joachim Werner
18.00 Abendessen
19.00 Grußwort Paul Mendes-Flohr (Zoom)
Keynote: Martin Buber and Franz Rosenzweig on Mitzvot, Ephraim Meir
Mittwoch, 29.3.2023
9.30 Zionists and Their Pals – Martin Buber’s Berliner Jahre, Martin Treml
10.30 Ost Side Story: Martin Buber, “Charlottengrad” Zionism and the Nationalism of the Hebrew Literary Circle, Maya Shabbat
11.30 Kaffeepause
11.45 „…von einem Gipfel aus die Einheit einer Landschaft zeigen“ – Martin Buber und Gustav Landauer, ein gelungener Dialog, Siegbert Wolf
12.45 Mittagessen
14.30 Semantik der Zugehörigkeit – Gemeinschaft bei Martin Buber und Ferdinand Tönnies, Inka Sauter
15.30 Kaffeepause
15.45 „Sechs Gespenster und zwei lebende Menschen“ – Bubers Bilderverbot und seine Bedeutung für die Berliner Therapeutenszene der frühen 1930er Jahre, Frank Hahn
Martin Buber und die Nachwirkungen der Berliner Jahre
16.45 Scripture, Sovereignity and Self-Determination in Buber’s Bein Am Le’Artzo, Abraham Rubin
18.00 Abendessen
Female Perspectives on Martin Buber
19.00 Podium mit Yemima Hadad und Barbara Hahn
Donnerstag, 30.3.2023
10.30 Martin Buber and the Search for “Unity”: The Mysticism of the Orient, Hanoch Ben Pazi
11.30 Kaffeepause
11.45 Rosenzweigs Kritik an Bubers Dialogik der Zeitlichkeit von Ich und Du, Renate Schindler
12.45 Abschluss der Tagung
Ausblick auf den Kongress der Internationalen Franz Rosenzweig Gesellschaft im Jahr 2024 an der Katholischen Akademie in Berlin
Call for Papers [CLOSED]
„Kein Staat kämpft für die Freiheit der Völker“ 1 – Martin Buber in Berlin
Zwischen 1907 und 1916 lebte Martin Buber mit seiner Familie in Berlin Zehlendorf. Zuvor war er während seines Studiums schon hier gewesen und hatte Begegnungen erlebt, die für ihn prägend werden sollten. Bekannt ist seine aus dieser Zeit stammende Freundschaft mit Gustav Landauer. Aber auch für seine spezielle Auffassung vom Zionismus ist gerade seine Berliner Zeit maßgeblich gewesen.
Das Berliner Zentrum für intellektuelle Diaspora lässt es sich angelegen sein, das diasporische Denken näher zu erforschen und dabei insbesondere die katholische und die jüdische Diaspora miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Berliner Zeit von Martin Buber bietet vielfältige Anknüpfungspunkte für unser Thema. Gemeinsam mit Dominique Bourel, dem Verfasser der großen Buber-Biographie, Martin Buber. Was es heißt ein Mensch zu sein, laden wir zu einer Tagung an die Katholische Akademie in Berlin und erbitten insbesondere Beiträge zu folgenden Themen:
- Martin Buber, Charlottengrad und der Berliner Zionismus in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts
- Religion und Politik bei Martin Buber
- „Die Schwungkraft der Botschaft Jesu ist die altjüdische Forderung“ 2 – Verbindendes und Trennendes im Dialog von Christentum und Judentum nach Martin Buber
- Pazifismus und seine Grenzen
- Nationalismus und seine Grenzen
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1 Brief MB an Fredrik van Eeden, 16.10.1914, (DB 209)
2 DB 217
Als Martin Buber 1898 das erste Mal zum Studium nach Berlin kam, ließ er sich vom jungen, „Charlottengrader“ Zionismus begeistern. Der zehn Jahre zuvor gegründeten Russisch- Jüdisch wissenschaftlichen Verein, in dem Chaim Weizmann „die Wiege der zionistischen Bewegung“ sah, zog ihn an. Der Gründer dieses Vereins, Leo Motzkin, proklamierte damals: „Der Jordan wird an der Donau, der Spree und der Themse erobert.“ Ganz arglos sind diese Sätze schon damals nicht aufgenommen worden. Buber hat sich stets bemüht, seine dialogischen Gedanken und seine Parteiischkeit für sein Volk verantwortlich zusammenzubringen. Er überzeugte sich früh davon, dass „nur eine bodensässige und autonome, Eigenproduktion treibende Nation ein großes freies Volksleben führen“ könne – doch zugleich war ihm sehr daran gelegen, die Schätze der diasporischen Kultur zu heben und bekannt zu machen. Er war inständig darauf bedacht, dass das zionistische Projekt nicht andere – die im Lande lebenden arabischen Menschen – ins Exil brachte. Zugleich arbeitete er in der Auseinandersetzung mit den christlichen Kulturen unermüdlich daran, die Grenze zwischen Christentum und Judentum so zu definieren, dass ein substantieller Dialog auf Augenhöhe möglich würde. Viele von seinen Studien zu diesen Themen wurden in seinen Berliner Jahren angelegt. Bedeutende Begegnungen insbesondere der frühen Berliner Jahre prägten seinen Begriff von Gemeinschaft und Dialogik. Im Kreis um den Soziologen GeorgSimmel begegnete er Margarete Susman, die ihn in einem berühmt gewordenen Zitat als „reinen Geist“ wahrnahm, ebenso wie Bernhard Groethuysen, der „ein so brillanter Kopf war, dass man ihn für einen deutschen Juden gehalten hätte, während er doch ein katholischer Rheinländer war.“ Bubers Jahre in Berlin zeigen den Gelehrten als produktiven Intellektuellen, als einen, der charismatisch Menschen anzieht und darum von manchen als Gründer einer neuen Sekte angesehen wird, aber auch als einen, der sich immer wieder mit der Frage des Zionismus beschäftigt.