Orientalismus – jüdisch und katholisch
Workshop an der Katholischen Akademie Berlin
26.–28. Juni 2023
In Kooperation mit der Universität Erlangen-Nürnberg
Photo: Louis Massignon 1909 | Wikimedia
Orientalismus – jüdisch und katholisch
26.–28. Juni 2023
Das Aufspüren von jüdisch-islamischen Affinitäten steht angesichts des kaum überwindbar scheinenden Konflikts zwischen Israel und Palästina gerade hoch im Kurs. Neben dem Topos des „Goldenen Zeitalters“ in Al-Andalus rückt hier auch eine Erscheinung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in den Fokus, für die sich nach und nach der Ausdruck „jüdischer Orientalismus“ etabliert hat.
Eine faszinierende Parallele zu dieser Bewegung ist der Beitrag katholischer Gelehrter zur Neuentdeckung des Orients. Das Wirken einer großen Zahl von Ordensleuten, insbesondere von Jesuiten und Dominikanern, im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde bislang weniger beachtet, macht jedoch erstaunliche Konstellationen religiöser und kultureller Wechselwirkung sichtbar. Es scheint durchaus angemessen, von einem „katholischen Orientalismus“ zu sprechen.
Ziel des Workshops ist es, in vergleichender Perspektive mehr über diese parallel stattfindende Faszination für den Orient zu erfahren. Insbesondere die religionspolitische Situation in Europa gilt es dabei als Horizont der neu entstehenden Islamforschung zu beachten.
In Hinblick auf die prekäre Stellung der jüdischen Bevölkerung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution drastisch zuspitzt, stellt sich die Frage, wie die mitunter starke Identifikation mit dem Orient und einer vergleichsweise großen Affinität gegenüber dem Islam und der islamischen Kultur zu werten ist.
Umgekehrt zwang der Kulturkampf in Deutschland und die antiklerikale Gesetzgebung in Frankreich zahlreiche katholische Gelehrte ins Exil und konfrontierte sie mit der Erfahrung mehrfacher Alterität. Grade die scheinbar klaren Frontlinien des Kulturkampfs werden bei näherem Hinsehen unübersichtlich. Am deutschen Kulturkampf wie am französischen Antiklerikalismus lassen sich paradigmatisch Mechanismen der Alterisierung und der diskursiven Eskalation beobachten, die sich gegen Katholiken wie gegen Juden richten konnten – und in den religionspolitischen Konflikten des 20. Jahrhunderts wiederkehren.
In Anlehnung an Edward Saids Buch „Orientalism“ soll vor diesem Hintergrund der bedeutende Beitrag jüdischer wie katholischer Gelehrter bei der Etablierung der deutschsprachigen bzw. französischen Orientalistik und Islamwissenschaft erkundet werden und zugleich Saids Konzept des Orientalismus als einem hegemonialen Herrschaftsdiskurs einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
Der Workshop will damit eine Spurensuche und ein Zwiegespräch zwischen jüdischem und katholischem Orientalismus anstoßen, um der Frage bloßer Übernahmen von Fremdzuschreibungen nachzugehen und die Motive der Aneignung in der Spannung von Mehrheitsgesellschaft und Ausgrenzung durch „Veranderung“ (Othering) zu erkunden.
Organisation
Dr. Katja Thörner, Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa,
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Dr. Stephan Steiner, Katholische Akademie Berlin
In Kooperation mit der Universität Erlangen-Nürnberg
Schwerpunkte
Sektion 1
Jüdische Faszination für den Islam und die Herausforderungen der Orientalismusdebatte
(Abraham Geiger (1810-1874), Ignaz Goldziher (1850-1921), Eugen Mittwoch (1846-1992), Gotthold Weil (1882-1960), Josef Horowitz (1874-1931), u.a.)
Sektion 2
Katholische Faszination für den Islam und die Herausforderungen der Orientalismusdebatte
(Louis Massignon (1883-1962), Georges Anawati (1905-1994), Henri Corbin (1903-1978), Hermann Stieglecker (1885-1975), u.a.)
Programm
Montag, 26. Juni 2023 | |
18:00 | Öffentlicher Abendvortrag mit Podiumsgespräch Prof. Susannah Heschel (Dartmouth College) Begegnungen mit dem „Islam“ als Spiegel jüdischer Vorstellung vom Christentum |
20:00 | Gemeinsames Abendessen für Tagungsteilnehmer |
Dienstag, 27. Juni 2023 | |
9:30 | Begrüßung und Vorstellung der Veranstalter Katja Thörner & Stephan Steiner Sektion I: Jüdische Faszination für den Islam und die Herausforderungen der Orientalismusdebatte Aysun Yaşar Ignaz Goldzihers Iǧmāʾals „Wundermittel“ für Islam und Judentum Micha Brumlik Über Abraham Geiger Nora Lafi Contemporary Interpretations of Orientalism in the Context of Post-Colonial Studies |
12:30 | Mittagsimbiss |
18:00 | Öffentlicher Abendvortrag mit Podiumsgespräch Prof. Dr. Dominique Bourel (Paris) Warum sind französische Katholiken Orientalisten geworden? Louis Massignon und Jean de Menasce |
20:00 | Abendessen |
Mittwoch, 28. Juni 2023 | |
9:30 | Sektion II: Katholische Faszination für den Islam und die Herausforderungen der Orientalismusdebatte Yossef Schwartz Das Orientbild zwischen Rationalismus und Mystik: Streitpunkte moderner jüdischer und katholischer Historiographien Felix Körner SJ Was suchet ihr? Die acht Motive katholischer Orientalistik Felix Wiedemann Und täglich grüßt das Murmeltier? Konjunkturen der Orientalismusdebatte in Wissenschaft und Gesellschaft |
12:30 | Mittagsimbiss & Ausklang |
Mitwirkende
Susannah Heschel
Dominique Bourel
Micha Brumlik
Margareta Gruber OSF
Felix Körner SJ
Nora Lafi
Yossef Schwartz
Aysun Yaşar
Felix Wiedemann